Paris-Brest-Paris 2019 – Tinteniac (KM870) – Rambouillet (KM1224)

Schöne Dorfer bei Paris-Brest-Paris auf der Strecke
Nur eines von vielen schönen Dörfern bei Paris-Brest-Paris 2019

Bratwurst!

Es wird doch noch eine Gourmettour, dieses Paris-Brest-Paris 2019! Nachdem ich im ersten Teil überwältigt von all den Radbekloppten in Rambouillet war, im zweiten Teil schon ganz schön viele Kilometer gefahren bin und der dritte Teil hart aber schon Rückweg war, kommt nun der vierte und finale Teil von der Strecke!

Unsere letzte Kontrolle in Tinteniac (KM870) liegt schon wieder ein paar Kilometer hinter uns und die nächste in Fougeres (KM923) liegt noch Kilometer vor uns. Ein weiteres kleines, hübsches französisches Dorf zieht am Horizont auf. Schon bevor wir im Dorf ankommen, steigt uns Grillgeruch in die Nase! AHAA!!! Hier wird gegrillt! Und es gibt ein Büdchen auf dem Dorfplatz. Kurzer Stop!

Gallettes Saucisson! Endlich Gourmet.

Mit Moutarde! Da nehmen wir zwei! Lecker deftiger Crepe mit frischer Bratwurst vom Holzkohlengrill! Und Sempf! Die bisher beste Pause! Das kleine Dorf heißt übrigens Illifaut und scheint einen guten Schlachter zu haben. Eine neue Kiste frischer Bratwürste erreicht den Grill! Ich tendiere zu einem Zweiten! Dann kann ich mich allerdings auch gleich zum Schlafen hinlegen. Schade. Wir fahren ohne eine zweite Wurst weiter.

Verpflegung in Illifaut bei Paris-Brest-Paris
Verpflegung in Illifaut bei Paris-Brest-Paris – lecker Gallettes Saucisson

Verwirrung. Was war nun wo? Wo lang?

Mittwoch. Was war nun wo? Welche Station kommt als nächstes? Wo war die Bratwurst? Ich bin verwirrt. Als nächstes soll Fougeres kommen. Das war der Ort mit der 1000 Jahre alten Burg. Aber welche Kontrolle war das? Tage – Kontrollen – Kirchtürme – Hügel – Essen…so langsam verschwimmt alles in meinem Kopf zu einem Erlebnis. Der Mittwoch neigt sich dem Ende und ich werde auch die letzte Nacht auf dem Rad verbringen. Die Cut-Off-Zeit peitscht uns vor sich her. Bisher konnte niemand beantworten, ob die Zeiten auf der Stempelkarte gelten oder nur die Gesamtzeit. Wir müssen weiter. Für die Nacht schmieden Simon und ich wieder unsere Allianz. Wir sind echt auf. Da wäre nachts alleine fahren noch unklüger.

Die Nacht dämmert schon und wir plünnen uns wieder an. Es ist schon wieder so frisch…

Die gemütlichste Garage der ganzen Tour

In der Dunkelheit fällt es uns zunehmend schwer die Augen auf zu halten. Wir gönnen uns eine weitere kleine Pause in einem Dorf, wo eine Familie Kaffee, Tee und Kekse am Straßenrand reicht. Eine gute Pause! Aber nur kurz. Weiter durch das Dorf durch. Aber wir kommen nicht weit. Die Augen sind so schwer, dass wir uns kurz an den Straßenrand einer Nebenstraße legen. Unter dem Baumschatten einer Laterne gönnen wir uns einen kurzen Powernap.

Simon meint ich hätte geschnarcht. Hab ich natürlich nicht. Weiter geht´s.

Von der netten Familie am Straßenrand habe ich einen Obstquetschie mitgenommen. Der schmeckt wunderbar. Meine Lippen, mein Mund alles brennt mittlerweile.

Schlafen bei Paris-Brest-Paris 2019
Kleines Nickerchen am Straßenrand von Paris-Brest-Paris 2019

Kalter Obstbrei ist da ganz wunderbar!

Erneut kommen wir nur ein paar Kilometer Richtung nächster Kontrolle in Villaines-la-Juhel. Die Müdigkeit hält auf. Wir brauchen noch einen Powernap, sonst landen wir im Straßengraben. Stop ruft Simon. „Wenn da kein Hund bellt, nehmen wir die!“ – Was? Wo? Wen? In Zeitlupe puzzelt mein Gehirn die Bausteine zusammen.

Ah, eine möblierte, offene Garage am Straßenrand, der ideale Ort für ein Schläfchen. Es bellt tatsächlich kein Hund. Wunderbar. Tisch, 3 Stühle. Nur kurz die Augen zu machen. Danke ihr Unbekannten, dass ihr eure Garage offen gelassen habt!

Endlich kommt die nächste Kontrolle in Sicht: Villaines-la-Juhel (KM1012)

Immernoch ist es mitten in der Nacht.

Die gefahrene Strecke ist VIERSTELLIG! VOUS AVEZ DEJA FAIT 1001KM.

Das ist ja ziemlich weit! Fühlt sich surreal an. Ich bin müde. Ganz so fresh sehen alle Randonneure in der Kontrolle nicht mehr aus. Viele gönnen sich ein Nickerchen mit dem Kopf auf dem Tisch. Wie die toten Fliegen liegen die Leute in den Fluren und unter den Esstischen.

Verpflegung Paris-Brest-Paris 2019
Man wieder Nudeln mit „Bolo“ bei Paris-Brest-Paris 2019

Wir machen uns schon wieder auf den Weg, es sind noch über 200 Kilometer bis heute (!!!) Nachmittag. Der letzte Tag hat begonnen. Schnell verschluckt uns die Dunkelheit hinter Villaines wieder. Die Strecke geht weiter hügelig mal rauf mal runter. Meist mit Lichtern am Horizont auf dem nächsten Hügel. Immer wieder führt die Strecke an einen Fluss runter. Es bleibt frisch. Gut, dass ich so viel anhabe. Plötzlich wird es mir klar:

Hier war ich schon!

Auch nachts wird Rad gefahren bei Paris-Brest-Paris 2019
Auch nachts wird Rad gefahren bei Paris-Brest-Paris 2019

Allerdings nicht auf dem Hinweg (das auch) aber auch auf dem Rückweg. Hier bin ich schonmal lang gefahren! Richtung Paris, mit anderen Radlern! Ganz sicher! Gleich fällt mir ein mit wem und wann!

Halluzinationen sind schon was witziges. Mir ist klar, dass ich hier noch nicht war! Aus einem lebhaften Traum vor PBP, dem Schlafentzug und der Radfahrt jetzt bastelt sich mein Gehirn eben die passende Erinnerung zurecht. Gleich fällt mir ein, wann ich hier war! Noch warte ich auf diesen Einfall ;-).

Systemcheck – Agent Knöchel quittiert den Dienst

Das Morgengrauen kommt, der letzte Tag bricht an. Bald ist es geschafft! Nur noch der Rest von heute! Ich checke mal so wie es mir geht. Meine Knie haben gelitten, sich aber auch wieder beruhigt, vielleicht bin ich ein wenig langsamer deswegen gefahren. Mein Hintern ist arg strapaziert scheint sich aber mit seinem Schicksal angefreundet zu haben. Der Nacken macht auch noch mit! Wie auf einer inneren Wandkarte vermeldet das kleine Lämpchen des linken Knöchels das Ende des Dienstes. Seit vielen Kilometern zwickt der Knöchel immer wieder mal. Der tut anders weh, als der Rest. Irgendwie kaputter. Im Wiegetritt kann ich das Knie nicht nach innen führen, auf der äußeren Kante des Fußes geht es noch. Dann eben so. Mein Gedankenblitz, dass ich eine Fissur erlitten habe, erhärtet sich leider zuhause, aber unterwegs hat mir das ja keiner gesagt… Weiter geht´s.

Hände, was machen die eigentlich?

Das ewige bergauf und bergab hat meine linke Hand angestrengt, permanenter Wechsel zwischen dem kleinen und dem großen Blatt vorne. Nun nach 3 Tagen nonstop schalten, reicht meine Kraft nicht mehr aus um vom Unterlenker zu schalten. Eine elektronische Schaltung hatte ich immer für ein wenig zu unnötig gehalten. Nun hätte ich doch gerne eine!

Letzter Stop: Mortagne-au-Perche mit Überraschungsfucker

War Mortagne doch auf dem Hinweg die erste Station und nur eine optionale Verpflegung, ist es nun eine Kontrollstelle. Schnell den Stempel holen und dann gibt´s bei Timon am WoMo ein kleines Frühstück. Spontan haben Simon und ich einen dritten Stop am WoMo eingeplant. Ich rolle auf dem Parkplatz und wer springt vor mein Rad?

Jan, der Imperator der Randonneure.

Was für eine gelungene Überraschung! Seine Freude ist grenzenlos, mein Hirn versucht zu verstehen, was passiert! Dies ist die beste Pause bisher! Vor mir liegt keine Nacht mehr! 2 Etappen noch! Timons gutes Frühstück spendet neue Power!

Die nächsten Kilometer führen mich wieder raus aus Mortagne, ich kämpfe zunächst mit meinen Kontaktlinsen und dann nach 2 weiteren Stunden mit der Müdigkeit.

Bergauf bei Paris-Brest-Paris 2019
Bergauf bei Paris-Brest-Paris 2019

Protokoll des Kampfes gegen die Uhr

Um 10:00 Uhr vormittags bin ich in Mortagne gestartet. Bis Dreux (KM1174) sind es knapp 77 Kilometer. Und um 12:00 Uhr fallen mir die Augen zu. Ich brauche einen Powernap. Sofort. Mit Wecker. Volle 20 Minuten. Bis 12:20 Uhr. Bis ich wieder auf dem Rad sitze ist es 12:30 Uhr. Um 14:00 Uhr wollte ich in Dreux sein. Von dort sind es bis Rambouillet noch mal 45 Kilometer für die ich dann 3 Stunden Zeit hätte. Pausen und Unvorhersehbares nicht eingerechnet es würde also knapp werden. 17:15 Uhr fällt der Hammer in Rambouillet.

Das Straßenschild weist noch 33 KM bis Dreux aus. In 1,5h eine lösbare Aufgabe. Nächste Kreuzung. Nun sind es 36 KM bis Dreux.

Fahre ich hier im Kreis? Die Kilometer sollten doch weniger werden!

Panik steigt mir im Hals auf. FUCK! Bis hier habe ich gekämpft, es sind weniger als 100 Kilometer. Die werden ja auch noch gehen! Ich kralle mich an den Unterlenker. Schneller! Da geht noch was! Der Knöchel rebelliert. Mir ist zu warm, es sind gut 25 Grad, die Sonne scheint. Schneller! Laut brülle ich mich selbst an!

Die Kilometer müssen weniger werden!

Ich durchdenke die Optionen, die ich habe: Aufhören? Auf keinen Fall, ich müsste all den Mitfiebernden Zuhause erklären, warum ich nicht gefinished habe. „…war zu anstrengend.“ ist sicherlich keine Antwort. Das wusste ich ja vorher, dass das so kommt… Option 2: Weiter geht´s! Gemessen an den Gesamtkilometern wird der Rest schon noch gehen! ABER DIE ZEIT!!!

Ich drücke mir ein Gel in den ausgetrockneten Mund. Mehr Power für mehr Kilometer! Das muss gehen! Die Zeit verstreicht. Immerhin ist es hier weniger hügelig! Treten!

Dreux (KM1175) – schnellster Stop

Runter vom Rad, rein in die Kontrolle, PUNKT 14:00 Uhr! Geil! Jetzt der letzte Rest! Wo es Wasser für meine Trinkflaschen gibt, sehe ich nicht, keine Zeit zu suchen. Simon rufe ich im Vorbeifahren in der Kontrolle zu, dass ich weiter muss…die Zeit! Er wird mich schon einholen!

Ohne Wasser – keine Kompetition

Fuck, hätte ich mal die Flaschen gefüllt. Es wird immer wärmer. Ich habe kaum noch was zu trinken! Da wird doch irgenwo mal ein Friedhof, Gartenzaun, Zuschauer oder sonstwas kommen! Nix! DURST! So platzt mir der Kopf. Keine Option.

Endlich, eine kleine Kneipe, schnell rein! Simon hat mich eingeholt und füllt ebenfalls seine Flaschen auf. Dass die Barfrau uns dafür auch noch Geld abnimmt…egal. Ich hätte beinahe jeden Preis bezahlt. Noch ein Gel hinterher. Flüssige Power für die letzten Kilometer!

Die letzte Etappe verwirrt

Angeblich wurde die Strecke kurz vor Abfahrt geändert. Es hätte irgendeinen Straßenschaden gegeben. Wir haben keine Navigation mehr und unser Roadbook stimmt auch nicht mehr. Wir folgen nur noch den Schildern am Straßenrand. Die letzten 19 Kilometer sollte es nach Rambouillet geradeaus auf der größeren Straße gehen, die wir bei unser Einrollrunde schon befahren hatten. Aber diese Straße kommt nicht.

Die Kilometer auf dem Garmin werden immer mehr!

Wo bleiben denn die 19 Kilometer geradeaus? Und diese große Straße? Die nächste Abbiegung kommt! Immernoch nicht die große Straße. Dann wird die Strecke ja noch länger!

Mir bleiben zwei Optionen. Ich zermartere mir das Hirn wo wir wohl sind, wieviele Kilometer es noch sind und wann wir ankommen und ob die Zeit reicht. Option 2: Ich lasse das.

Ich wähle Option 2. Weiter treten! Immer weiter. Vor uns und hinter uns sind andere Randonneure, einige müssen außerhalb der Zeit sein. Wir sind noch drin! Weitertreten!

Und dann kommt mir diese Mauer doch ziemlich bekannt vor! Wir sind von der anderen Seite an den Park von Rambouillet rangerollt! Nun sind es vielleicht noch 5 Kilometer für die wir reichlich Zeit haben.

Wie weit noch?

Viele 100 Kilometer vor Rambouillet sagt jemand zu mir:

Unless you can´t walk there, you´re not there.

Aber die letzten 5 Kilometer könnte ich auch gehen! Wir würden in der Zeit bleiben. Nochmal nach Rambouillet rein, nochmal durch den Schlosspark, nochmal bergauf und dann durch den Zielbogen! Die Zeit stoppt erst Minuten später in der Bergerie wo der Scanner steht und den letzten Stempel gibt es erst im Zelt am Ende.

82:57:29.

Zweiundachtzig Stunden, Siebenundfünfzig Minuten, Neunundzwanzig Sekunden.
Die längste Radfahrt meines Lebens.

Im Ziel realisiere ich nicht, was da gerade passiert ist. Ich muss nach dem Stempel nicht weiter fahren! Noch 800m bis zum WoMo rollen und dann auf einem Stuhl sitzen, solange ich will und danach kein Rad fahren! Die Idee gefällt mir ziemlich gut!

Paris-Brest-Paris 2019 habe ich gefinished.

Paris-Brest-Paris Finisher
Stolze Finisher nach 1224km bei Paris-Brest-Paris 2019

Folgende Programmpunkte ereignen sich noch am Nachmittag:

Grillen – Schnell beendet durch die Parkaufsicht, für n Steak hat´s aber gereicht.

Duschen – Uh! Ziemlich gut!

Jogginghose – Sehr bequem.

Blick in den Spiegel – Hätte ich mir sparen können. Ich sehe bescheiden aus.

Liegen – gefolgt von 10h komatösem Schlaf.

 

Die Nachlese gibt´s im fünften Teil des Paris-Brest-Paris 2019 Blog.

Darin:

  • Würde ich das wieder machen?
  • Was war gut/nicht so gut an meinem Bike-Setup?
  • Und 2021 dann London-Edinburgh-London?
  • und vieles mehr…

 

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