600er Brevet – Gravel, Brocken und die PBP-Qualifikation

Powernaps spenden neue Konzentration
Kurzer Powernap nach 30 Stunden Fahrt

Wow, letzte von 4 Qualifikationen auf dem Weg nach Paris-Brest-Paris. Nachdem ich erfolgreich 200, 300 und den 400km Brevet absolviert habe, steht nun die letzte Qualifikation mit 600km vor der Tür. Angeblich leichter als 400 aber ja auch länger, mehr Kilometer und es soll auf den Brocken gehen. Davon abgesehen verspricht der Organisator ein Highlight mit Gravel und schöner Landschaft, aber dazu später mehr. Spoiler alert: Ich bin qualifiziert ;-).

Für die Eiligen:

  1. 45,8
  2. 122,1
  3. 207,5
  4. 265,0
  5. 353,3
  6. 398,8
  7. 475,3
  8. 542,3
  9. 612,3

Am Start

Hui. Abfahrt. Ich bin nervös, es gibt einen gestaffelten Start und die Starter fahren wie es ihnen zeitlich liegt. Ich fahre mit den ersten mit, weil ich so aufgeregt bin. Die ersten Kilometer gehen aus Berlin raus, es ist trocken und ich bin in einer eher zügigen Gruppe mit 10-12 Leuten. Ich versuche nicht so sehr über die nächsten Stunden nachzudenken, sondern meinen Rhythmus zu finden und zunächst einmal „nur“ zur ersten Kontrolle zu fahren. In der Beschreibung des Brevets stand etwas von Gravel und ich stelle mir darunter ein paar Kilometer Schotterpiste vor. Wird schon gehen.

Ruby packt das, ich packe das. Denke ich.

Nabendynamo und Lampe verorgen Ruby mit Strom
Ruby ist mit einem SON ausgestattet und einer LUXOS

Nichtsahnend was mich auf den ersten 230 km erwartet.

Einen kleinen Vorgeschmack gibt es nach ca. 40 Kilometern aus die Strecke plötzlich zum Waldweg mit Schotter und Steinen wird. Dann zum eher sandigen Waldweg. Gut, dass ich im Winter viel Crosser gefahren bin, ich mache mich nicht lang. Die Chance war aber da… Puh, die erste Kontrolle kommt in Sicht.

Kurze Pause. Routine: Neuer Track laden, Stempel abholen, Pipi, Wasser auffüllen.

Kontrolle 1. 45,8

Danach geht´s gleich weiter. Ich habe mir vorgenommen an den Kontrollstelle nicht mehr Zeit als nötig zu verdödeln und auch nicht auf jemanden oder eine Gruppe zu warten. Bisher hat sich keine Gruppe gebildet, dessen Tempo für mich passt und so rolle ich immer ein paar Meter mit jemandem zusammen, aber auch viele Km ohne jemanden.

Es wird warm. Sehr warm. Gar nicht meine Witterung. Regen muss auch nicht sein, aber knapp 30 Grad vor Mittag schon sind auch ne Hausnummer. Ich ermahne mich viel mehr zu trinken als ich Durst habe und den Puls nicht so hoch zu bringen. Bei Gegenwind fordert das meine Geduld, denn schnell komme ich nicht voran. Wenn ich überpace komme ich gar nicht an.

Ist also alternativlos.

Kontrolle 2. 122,1

An der zweiten Kontrolle treffe ich die gleichen Radler wie auf den letzten km. Ein kurzer Plausch. Ne Cola, ne Hanuta, Wasser auffüllen und weiter. Meine Gesichtsfarbe ist eher tomatenmäßig… danach geht es lange Strecken gerade aus. Und immer wieder ist die Straße eine Katastrophe. Was als Gravel angekündigt ist, ist schlichtweg eine miserable Straße. Auf der steinigen Schotter/Felskarkasse neben Kopfsteinpflaster in wassermelonengröße ist alles andere als angenehm. Mehrere Kilometer. #

Danach kommen mal ein paar Kilometer Asphalt, dann folgen Betonplatten, aufgeplatzt im Winter. Dass ich bisher keine Platten hatte, freut und wundert mich zugleich. Mein hoher Reifendruck rettet mich, macht die Strecken aber zur Schütteltour.

Die schlechten Strecken, vom Organisator als „Highlight“ angepriesen kosten massiv Kraft und Mühe. Ich komme kaum voran. Viele Ortsdruchfahrten haben schlechtes Kopfsteinpflaster, das aber immerhin befahrbar ist.

In einem Dorf plätschert ein Springbrunnen auf einer Wiese und das Grüppchen mit 2 Jungs in dem ich gerade unterwegs bin, macht eine spontane Pause. Füße ins Wasser, abkühlen. Das tut gut. Bis es wieder wieder geht.

Erfrischender Springbrunnen
Bei der Hitze kühlt eine kleine Dusche im Springbrunnen

Meine Getränkevorräte neigen sich dem Ende und an einem Gartenzaun füllt eine nette Bewohnerin unsere Flaschen auf! Small-Talk…Wo kommen wir her, wo geht´s hin… Sie bleibt nicht die Einzige, die weder glauben kann welche Distanz wir fahren noch, dass wir aus dem Nachbarort über DIESE Straße gekommen sind. Mit den Rädern.

Schotter und Kopfsteinpflaster sind eine Herausforderung
Schwierige Bedingungen, kilometerweit Schotter und Kopfsteinpflaster

 

Kontrolle 3. 207,5

Dritte Kontrolle. Ein Jagdhaus-Restaurant. Sehr liebevoll gibt es eine Stempelstation, Nudelbuffet und kalte Getränke. Ich gönne mir eine kleine Pause und resümiere, wie es mir geht. Müde. Warm. Zähe Strecke. Aber es geht ja weiter. Nun auf den Brocken auf dem die nächste Kontrolle ist. Also nun wird es wohl hügelig, war es doch bisher eher flach.

Gleich hinter dem Jagdhaus wird es hügelig! Auf einem ausgewaschenen Waldweg geht es über dicke Steine bergab. Gravel ist ja ok, aber das hier ist eine Zumutung. Crosserskillz retten mich erneut.

Ich stürze nicht und bin froh aus dem Wald raus zu sein. Danach wird es immer hügeliger und an den ersten Hügeln des Harzes zerreißt unsere kleine Reisegruppe. Erwartbar und doch wird mir nun klar,

dass ich alleine auf den Brocken kurbeln muss.

Diesen Zustand anzunehmen kostet mich am meisten Kraft. Mehr als die Brockenstraße. Auf der ich neuen persönlichen Rekord fahre. Nach 230km mit viel Schrottstraße. Läuft vielleicht doch nicht so schlecht und die Masse an Startern hat mich auch nicht überholt.

Pause auf der Brockenstraße
Auf der Brockenstraße auf den Brocken

Kontrolle 4. 265,0

Ist auf dem Brocken. Bis ich checke, dass es im 7. Stock ist, vergehen ein paar Minuten. Zum Glück gibt es einen Fahrstuhl. Oben in der Hexenklause gibt es nix zu essen mehr (Viertel nach 9) und auch keinen Kakao oder Kaffe („Maschine gerade sauber…“ – Na das hoffe ich) und ich freue mich über meinen kleinen Einkauf in Elbingerode auf dem Weg hinauf. Oben treffe ich Holger wieder und wir verbünden uns für die Nacht. Nachts alleine im Harz ist nämlich doof. Wenig später freue ich mich um so mehr über unsere Verbündung, mein Licht ist nämlich zu hoch eingestellt und keiner unser Torx passt. In 30m Entfernung erleuchte ich den Wald in ca. 6m Höhe. Holger teilt seinen Lichtkegel mit mir. Danke nochmal!

Um halb 1 nachts werden wir müde. Ziemlich. Immerhin sitzen wir seit Stunden und 300km auf dem Rad. Lange hatte ich überlegt, ob ich ein Hotel vorbuche und mich dann dagegen entschieden. Das Wetter sollte trocken bleiben und wenn ich müde würde, wollte ich mich einfach auf ne Wiese legen. Lieber tagsüber.

Nun sind wir allerdings (überraschend) ;-)) nachts müde. Zwei Bushäuschen sehen uns zu kalt und zugig aus und auf meinen Strecken-Spickzettel stehen wir, dass Stollberg ein größerer Ort ist und vielleicht eine Bank hat, die einen warmen Vorraum hat. Und tatsächlich. Auf holprigen Kopfsteinpflaster sehe ich den erleuchteten Bankvorraum. An der Tür ist allerdings kein Schlitz für die Karte um reinzukommen.

Sollten wir draußen bleiben?

Nun folgt das beste Geräusch der ganzen Fahrt. Satt schmatzend gibt die Tür nach und es öffnet sich ein überheizter Bankvorraum. EC-Hotel welcomes you! Have a good stay. 35min. Powernap. Danach ist mir drinnen eiskalt. Ich ziehe alles an. Regenjacke. Regenhose. Überhandschuhe. Trotzdem schlottere ich und brauche sicher ne halbe Stunde bis mein Körper unter lautem Protest wieder im Arbeitsmodus ist. Dann geht´s. Immernoch Nacht. Dunkel, Temperatur geht.

Kurzer Powernap nachts im EC-Hotel
Warmer Powernap im „EC-Hotel“

Weiter hügelig, Süd-östliches Harzvorland kann auch was. Nach einer grübelten Ewigkeit erreichen wir die nächste Kontrolle.

Kontrolle 5. 353,3

Die liebe Dame der Raiffeisen Tankstelle macht die Tanke auf, obwohl sie das nachts nicht darf aber uns draußen schlottern lassen, konnte sie wohl auch nicht.

Danke! Es ist Sonntagmorgen 3 Uhr. 21h Radeln. Ich esse eine Bifi-Roll. Das esse ich sonst nie. Aber nun schmeckt das Ding ganz gut. Holger und ich lösen unsere Verbündung auf und auf den nächsten 50km zieht sich das Grüppchen, das eben noch an der Tanke gemeinsam saß, wieder auseinander.

Weiterhin bleibt es hügelig. Immerhin kommt langsam die Sonne wieder raus. Die Vögel zwitschern schon fleißig und nun gehen die Kilometer etwas besser von der Hand. Schlimme Müdigkeit ist vorbei und ich übe mich in Geduld. Hügel rauf. Hügel runter. Kleine Pause. Lange hatte ich überlegt, ob ich Ersatzklamotten mitschleppe. Nun freue ich mich, dass ich zumindest eine frische Hose anziehen kann.

Ahhh. Das ist gut!

Kontrolle 6. 398,8

Endlich. Lutherstadt Eisleben. Freie Kontrolle. Heißt: Such dir was aus, wo du einen Stempel bekommst. Scherz! Sonntag morgen um 6 irgendwo im Nirgendwo hat nix offen. Und da der Ort an einem steilen Hügel liegt, fahre ich natürlich erst den Hügel in den Ort, dann den 12% Hügel wieder auf um was zu suchen nur um dann abseits des Track eine 24h-Tankstelle zu finden.

Die in den Track einzubauen, wäre wohl zu einfach, nä?!

 

Kontrolle 7. 475,3

Den Streckenabschnitt dazwischen bis km 475 habe ich vergessen. Keine Ahnung. Möglicherweise waren da Hügel, Windräder, der Ort Könnern und ein strapazierter Po. Und viel Ödnis. Einige Kilometer vor Dessau rollt ein weiterer Randonneur auf mich auf. Wir rollen gemeinsam weiter, plauschen ein wenig und fragen uns wie weit es wohl noch ist…

Kontrolle 8. 542,3

Unabhängig davon geht es immer weiter. Noch mehr Kilometer. In Dessau, das leider echt nicht schön ist, realisiere ich, dass ich so weit noch nie in meinem Leben auf dem Rad am Stück gefahren bin. Noch nie. Und weil ich mir langsam wünsche, dass die Runde mal zuende geht, radel ich alsbald weiter, der 2. Randonneur rollt mit. Aber nicht weit, denn bei Coswig bin ich schlagartig ziemlich müde. Sehr. Ich informiere die anderen beiden Randos mit denen ich grad fahre und während sie weiter rollen, lege ich mich am Waldrand an ein Feld und gönnen mir einen Powernap von 20 min. Danach ist´s viel besser. Den vor mir liegenden Schauer habe ich verpasst und bin trocken geblieben. Gutes Timing würde ich sagen.

Powernaps spenden neue Konzentration
Kurzer Powernap nach 30 Stunden Fahrt

In Niemegk biete ich links ab und sehe im Augenwinkel die beiden Randos am Eis schlabbern. Oh, Eis! Das ist gut! Kleine Eispause!

Und dann zur letzten Kontrolle vor dem Ziel! Nochmal Tankstellenleben mit Ei- und Mettbrötchen… Berlin ruft schon und trotzdem zieht sich die Strecke. Auf das Stück Schotter vom Anfang dürfen wir nochmal befahren. Danke, dafür!

Kontrolle 9. 612,3

WTF. Auf dem Garmin stehen über 600 Kilometer! Das ist ganz schön weit! Mein Kopf ist leer, meine Beine auch.

Ich realisiere nicht, dass ich so viele Kilometer seit gestern morgen gefahren bin. Am Startort erwartet uns Lasagne und ein Joghurt. Eine gute Stärkung. Realisiert, dass ich mich für Paris-Brest-Paris qualifiziert habe, habe ich nicht. Dafür brauche ich wohl ein paar Tage.

Es war gut, was kann besser?

Nunja, Ruby ist mit ihrem SON und der Luxos Lampe von Busch und Müller gut ausgerüstet. Ich kann Garmin und Handy während der Fahrt laden und mit eingestellter Lampe auch nachts ausreichend gucken! Der Flutlichtschalter an der Lampe ist ziemlich cool!

Eine Baustelle, die ich im Vorfeld bereits geahnt habe, sind die Schuhe. Auch nach ein paar Tagen habe ich noch einen tauben großen Zeh und ich glaube, dass ich hier noch mal optimieren muss. Neuralgische Punkte wie Nacken, Hände und Po haben die Tortour ganz gut mitgemacht. Mein Popo hat durch die vielen Kilometer schlechter Straßen mehr gelitten als er das wohl auf guten Straßen getan hätte.

Next: Paris-Brest-Paris

Subjektiv war der Brevet härter als PBP in meiner Vorstellung sein wird. Dort sind mehr Leute, bessere Straße und ich hoffe auf mehr Flow auf dem Weg. Bis hier her bin ich sehr Stolz, die Quali unter diesen Umständen (3 Brevets mit Hagel/Regen/Wind und einer mit Offroad) so gut geschafft zu haben.

Zeit war bei allen Brevets großzügig für mich.

Ich habe mich bereits final für Paris Brest Paris angemeldet auch wenn der letzte Brevet noch nicht gemeldet ist.

Ich werden in Paris am Start stehen!

Bis da hin erhole ich mich ein wenig, löse die Schuhbaustelle und versuche gesund und fit zu bleiben.

 

Paris!

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